von Jakob Schäfer
Für Bahnvorstand und Regierung hat die Tarifauseinandersetzung mit der GDL vor allem eine gewerkschaftspolitische Funktion. Nach einem erfolgreichen Streik der GDL für ihre gesamte Mitgliedschaft, die weit über Lokführer hinausgeht, wurde im Bundestag auf Betreiben der Bahn das Tarifeinheitsgesetz (TEG) beschlossen; es billigt nur der Mehrheitsgewerkschaft in einem Betrieb das Recht zu, Tarifverträge abzuschließen. Dieses Gesetz, das der GDL in den Bereichen, in denen sie nicht mehrheitsfähig ist, wie beim Zugbegleitpersonal, faktisch die Koalitionsfähigkeit abspricht, soll bei der diesjährigen Tarifrunde erstmals durchgesetzt werden.
Das Gesetz wird damit begründet, dass eine „Minderheitsgewerkschaft“ kein „tariflich regelbares Ziel“ nachweisen kann, sodass ‒ gemäß ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ‒ ein solcher Arbeitskampf illegal wäre.
Das TEG widerspricht dem Grundrecht auf Koalitionsfreiheit (siehe Kasten). Es ist darüber hinaus in seiner ganzen Konstruktion darauf angelegt, Tarifkämpfe überhaupt für die Kapitaleigner überschaubar und kontrollierbar zu machen. Es dient der Disziplinierung kämpferischer Gewerkschaften.
Bislang konnte die GDL kraft ihrer eigenen Mobilisierung die faktische Anwendung dieses Gesetzes für den Bereich der Bahn verhindern. Die entsprechende Regelung lief allerdings Ende letzten Jahres aus. Jetzt soll nach dem Willen der Regierung (der Bund ist alleiniger Eigentümer der Bahn) damit Schluss sein.
Das BVG-Urteil und seine Begründung
Nach der Verabschiedung des Gesetzes waren eine Reihe kleinerer Gewerkschaften sowie Ver.di vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Die Mehrheit des Gerichts entschloss sich aber mit Urteil vom 11. Juli 2017 (mit 6 gegen 2 Stimmen), Kabinett und Kapital die Stange zu halten. Hierzu wurden unbewiesene Behauptungen aus der Gesetzesbegründung herangezogen und neue Rechtsgrundsätze aufgestellt. Diese wurden faktisch zu Normen erklärt, sie sind durch nichts begründet und in keinem Fall aus dem Grundgesetz abzuleiten.
Die gesamte Urteilsbegründung ist hanebüchen. Schon im ersten Leitsatz führt das Gericht aus:
„1. Das Freiheitsrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG schützt alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen, insbesondere den Abschluss von Tarifverträgen, deren Bestand und Anwendung sowie Arbeitskampfmaßnahmen. Das Grundrecht vermittelt jedoch kein Recht auf unbeschränkte tarifpolitische Verwertbarkeit von Schlüsselpositionen und Blockademacht zum eigenen Nutzen.“
Eine der Begründungen lautet, der „Betriebsfrieden“ sei anzustreben oder zu bewahren. Doch das Bundesverfassungsgericht muss selbst zugeben, dass eine Vereinigung nur dann eine Gewerkschaft ist, wenn sie auch streiken darf. Welchen Sinn aber macht ein Streikrecht, das absehbar zu keinem Ergebnis führen kann, weil der möglicherweise erzielte Tarifabschluss nachher keine Anwendung findet?
In einem Minderheitenvotum haben Richter Paulus und Richterin Baer das Urteil gut auseinander genommen. Sie plädieren klar für die Anerkennung der Koalitionsfreiheit und des Streikrechts als eines Rechts, das auch eine materielle Bedeutung hat. Zusammenfassend führen sie aus:
„Dieser Eingriff in die Tarifautonomie, die im Mittelpunkt des Art. 9 Abs. 3 GG steht, und die damit einhergehende vielfache Beeinträchtigung der tarifpolitischen Freiheit der Gewerkschaften im Vorfeld ist grundrechtlich von erheblichem Gewicht. Vorkehrungen des Gesetzgebers, um dies dennoch als zumutbar zu rechtfertigen, sind trotz ihrer grundrechtlichen Bedeutung unklar, unzureichend oder fehlen ganz.“
Rechtsfragen sind Machtfragen
Gerichtliche Entscheidungen fallen immer vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Nichts ist in Stein gemeißelt. Erinnert sei z.B. an folgende Urteile:
ï Mit Urteil vom 24.4.2007 wurden Streiks für einen Sozialtarifvertrag als zulässig erklärt;
ï Am 22.9.2009 erging das Urteil zu Flash-Mobs, die in Tarifauseinandersetzungen künftig erlaubt sind;
ï Unter dem Eindruck vermehrter Solidaritätsstreiks wurden diese mit Urteil vom 19.6.2017 als zulässig erklärt.
Die jetzt gefahrene Linie leitet eine gefährliche Beschneidung gewerkschaftlicher Rechte ein. Deshalb sind alle Kolleg*innen und speziell die Vorstände der DGB-Gewerkschaften gefordert, der elementaren Pflicht gewerkschaftlicher Solidarität nachzukommen und die Kolleg*innen der GDL in den kommenden Tagen und Wochen in ihrem Kampf zu unterstützen. Dies ist schon aus Gründen der eigenen Existenzsicherung geboten, ergibt sich aber auch aus der kollegialen Verpflichtung wie auch aus Gründen der klimapolitischen Herausforderungen.
Die wirksamste Waffe zur Durchsetzung uneingeschränkter Koalitionsfreiheit (Gewerkschaftsfreiheit) und des Streikrechts ist immer noch der Streik selbst. Der GDL-Streik muss deshalb breit unterstützt werden, damit die Herrschenden durch die Macht des Faktischen gezwungen werden, dieses Recht tatsächlich anzuerkennen. Schließlich hat die Geschichte hinreichend gelehrt:
Vor dem Streikrecht war der Streik!
Jakob Schäfer
Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), www.vernetzung.org